Mein Traum

Im erweiterten Sinn steht Traum umgangssprachlich auch für etwas Ersehntes (etwas „erträumen“), etwas Unwirkliches oder auch für etwas Ästhetisches („traumhaft schön“, „ein Traum!“). Die Interpretation des Erlebten wird als „Oneirologie“ (zu Deutsch: Traumdeutung) bezeichnet.

Wie begann mein Traum? Es war wohl in meinem 22./23. Altersjahr, als ein guter Bekannter und Berufskollege mich einlud, mit einem gaaaanz tollen Auto eine Spritzfahrt zu machen. Wir trafen uns auf dem Wasserturmplatz in Liestal und ich war ganz baff, als mein Bekannter aus einem noch nie gesehenen Fahrzeug stieg. Er erklärte mir, dass dies ein Morgan sei, den er von seinem Bruder für diesen Anlass ausgeliehen hatte. Wir fuhren damals durch Liestal’s Rathausstrasse runter zum Hauptgebäude der Basellandschaftlichen Kantonalbank, hoch zum Bahnhof SBB und zurück zum Wasserturmplatz. Alles in allem eine Strecke von, wenn’s hoch kommt, ca. 3 km. Das war’s! Aber es reichte, um mich vom „Morgan-Virus“ anstecken zu lassen. Ich war jedoch so hin und weg, dass ich ganz vergass zu fragen, wo ich ein solches Fahrzeug erstehen konnte.

Es vergingen weitere Jahre, bis ich mit meiner damaligen Freundin deren Patenonkel und Autorennfahrer (Bergrennen) in Gelterkinden besuchten. Bei Kaffee und Kuchen unterhielten wir uns über das Thema Autos – was sonst? Ich redete mit „Stumpä“ (so sein Dorfname) zum Thema Morgan – meinem Traumauto. Er meinte darauf nur, das seien sehr schöne Autos mit einer, wenn auch altertümlicher Holzbauweise, doch rassigen Art. Sie seien nur etwas teuer! Ich solle mich an die Garage Wehrlin in Aesch, Baselland wenden. So kam ich nach Jahren zur ersten Adresse.

Wir schrieben das Jahr 1979, als ich mit zittrigen Fingern die Telefon-Nummer der Garage Wehrlin wählte und am anderen Ende der Leitung eine harsche Männerstimme in den Hörer brüllte: „Wehrlin…!“ Das war mein erster Eindruck des damaligen General-Importeurs der Morgan-Fahrzeuge für die Schweiz. Nun denn, ich liess mich nicht entmutigen und äusserte meinen Wunsch: „Ich interessiere mich für einen Morgan und möchte gerne bei Ihnen vorbeischauen“. Das Telefonat wurde ebenso barsch mit dem Satz beendet: „… Sie sind zu jung für einen Morgan, die Lieferfrist beträgt im Minimum 8 Jahre und Sie kommen dafür nicht in Frage!“ Klick – aus die Maus! Bis ich meinen Unterkiefer wieder hoch und Luft bekam, war die Leitung verstummt. Mein grosser Traum entschwebte wie eine Seifenblase in immer unerreichbarere Gefilde. Tja, wie weiter?

Etwa 10 Jahre danach, gerade frisch verheiratet und voller Tatendrang, erfuhr ich, dass die Garage Wehrlin altershalber aufgelöst worden und eine neue Vertretung in Nyon entstanden war. Flugs hingefahren und nach telefonischer Voranmeldung die Nase in diese Garage gesteckt. Da stand einer, ein Morgan 8+, die Begehrlichkeit pur. In Anbetracht dessen, dass ich immer noch Stumpä’s Worte im Ohr hatte „… sie sind nur etwas teuer“, liessen wir uns einen Morgan 8+ rechnen. 3.9-Liter-Motor, RollsRoyce-Green, Speichenräder, mit allem Schnickschnack, was zu damaliger Zeit geboten wurde. Die Addition war schnell vom Verkäufer gemacht. Etwas mehr als CHF 108’000.— stand als Preis unter dem Strich. 50% Anzahlung beim Unterschreiben des Kaufvertrages – mir standen die Tränen in den Augen. Mein damaliges Portefeuille und der Verstand verboten mir, eine solche Summe auszugeben und alle Beteuerungen des Verkäufers, dass dies eine gute Investition in die Zukunft sei, halfen nichts. Mit hängenden Ohren fuhr ich wieder zurück ins Baselbiet. Die Offerte verschwand in die Pultschublade, in der sie heute noch ruht. Hin und wieder nahm ich sie schweren Herzens hervor, liess meine Augen über die Prospektunterlagen gleiten und träumte weiter meinen wunderschönen Traum.

Internet sei Dank, stiess ich einige Zeit später auf die Webseite des Morgan Club, Schweiz. Eine gewisse Verwegenheit liess meine Finger nur so über die Tastatur meines PC gleiten, als ich an die damalige Präsidentin des Morgan Club schrieb. Der Präsidentin schrieb ich meinen Wunsch Mitglied zu werden, in der Annahme, dass ich einen Morgan aus zweiter Hand günstiger erstehen könnte. Blauäugig und unsäglich naiv erhielt ich aber die Mitgliedschaft, nur die Fahrzeug-Preise bewegten sich keinen Millimeter nach unten. Es sollte einfach nicht sein, das mein Traum in Erfüllung gehen soll.

Zu allem Übel verkrachten sich die Mitglieder und es spaltete sich die Morgan-IG, Schweiz ab. Eine Gruppe um die „alte“ Präsidentin und meiner Wenigkeit waren Gründungsmitglieder. Was für ein Scherz – immer noch ohne Morgan…

Wir schreiben das Jahr 2007, meine damalige Freundin und Lebenspartnerin hatte mich an Sylvester verlassen und der schöne Frühlingstag anerbot sich, an einer Ausfahrt der Morgan-IG teilzunehmen. Die Freude hätte nicht grösser sein können, als ich meine ehemaligen Nachbarinnen mit einem neuen Morgan 4/4 4-Seater begrüssen durfte. Mit Präsidentin und Kassier  an der Spitze, zwei weiteren Morgan’s mit stolzen BesitzerInnen und mir mit meinem Alfa Romeo am Schluss, fuhren wir von Wollhausen los Richtung Entlebuch. Prächtigstes Wetter und eine Gegend, die ich nur vom hören Sagen kannte, liessen meine Endorphine Blasen werfen.

Beim Mittagessen kam die Präsidentin auf mich zu und stellte eine entscheidende Frage: „… hast Du immer noch keinen …?“ Ich erklärte Ihr, dass meine Suche an unterschiedlichsten Orten nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei. Sie meinte nur, Sie hätte mir einen. Mein Herz sprang vor Freude und wir fanden schnell einen passenden Termin.

Welche Ehre, von der Präsidentin abgeholt und „entführt“ zu werden. Die gemeinsame Fahrt endete vor den Toren der Garage „Classic Car Connection“ in Lichtensteig/SG. Etwas erstaunt über das eher triste Äussere der Garage für diese edlen Fahrzeuge entstieg ich dem Auto. Die Begrüssung durch Herrn M. Tanner war aber umso herzlicher. Die Präsidentin war federführend und im Imperativ erklärte sie Herrn Tanner: „Du musst Herrn Clavadetscher einen Morgan verkaufen!“ Ich nahm diese Worte sehr wohl zur Kenntnis, doch verstand ich den Sinn nicht – aber was soll’s!

Um einen 4/4 1600er 4-Seater Jahrgang 1979 aus dem Fundus der Garage Wehrlin, Aesch drehte sich die Geschichte und dies im wahrsten Sinn des Wortes. Mit diesem Fahrzeug wollte Herr Wehrlin im Jahre 1979 die Typenzulassung, also den ersten 4-Seater der Schweiz machen, kam jedoch wegen zu hohen Lärmwerten nicht durch. Nun verstand ich das damalige Telefongespräch mit Herrn Wehrlin: er war vermutlich einmal mehr bei der MFK Baselland abgeblitzt, als ich ihn anrief. Ausgerechnet dieses Fahrzeug soll meines werden? Was für eine Ironie der Geschichte. Veteranen-Status mit lediglich ca. 4’700 km auf dem Tacho. Was für ein Fahrzeug – eine Wucht!

Es war aber einiges daran zu machen, denn der Zahn der Zeit hatte auch an diesem Fahrzeug genagt. Obendrein waren noch „Steinschlag-Schäden“ von Bubenstreichen auszubessern. Der Motor lief noch auf bleihaltigem Benzin und, so wie ich mich kenne, das mit den Additiven beimischen, wäre eine Lotterie gewesen. Zu guter Letzt war da noch die „kackbraune Farbe“, die mir ganz und gar nicht gefiel. Ich sah wieder Kosten in ungeahnter Höhe auf mich zukommen…

Das musste ich nochmals überschlafen. Beim zweiten Anlauf wurden Herr Tanner und ich handelseinig. Die Ankaufsumme wurde überwiesen und in regelmässigen Abständen kamen dann, je nach Fortschritt der Restaurations-Arbeiten, die Rechnungen in moderater Höhe ins Haus geflattert. Es gab hin und wieder meinerseits schon Bedenken, ob ich alles richtig gemacht habe. Die Zeit zerrann und ich sass vor einer Fotodokumentation, die erst ein Fahrzeug erahnen liessen, als sich das Budget zur Neige ging. Eine Nachbudgetierung war unumgänglich. Was soll’s, mein bescheidener Lebensstil liess es zu und in den Himmel kann man bekanntlich nichts mitnehmen.

In der Zwischenzeit war ich mit der damaligen Lebenspartnerin wieder einmal in Liestal, der 4410-Kapitale oder Kantonshauptstadt, zum Blumeneinkauf für den Balkon. Wie das Leben so spielt, ist gleich neben dem Blumencenter die heutige Morgan-Vertretung. In Anbetracht dessen, dass ich bis zu diesem Tag noch nie hinter einem Morgan-Steuer gesessen hatte, schlappten wir in diese „heiligen Hallen“. Der Verkäufer war schnell zur Stelle und entsprach meinem Wunsch. Zügig erkundigte sich Ralph Burget, ob ich Interesse an einem Morgan hätte? Welche Frage, denn meine Augen glänzten. Ich erklärte ihm, dass ich zur Zeit einen Morgan restaurieren liesse. Er fragte nach der Garage und als er von der Classic Car Connection hörte, bemerkte er nur, dass diese ausgewiesene Restauratoren seien. Er wollte dann den genauen Fahrzeug-Typ wissen und ohne dass ich meinen Namen während des ganzen Gesprächs preisgab, sprach er mich mit „Herr Clavadetscher“ an. Ich war mehr als nur baff. Ich meinte, nur ein Fahrzeug gekauft zu haben und nicht eine ganze Familie. Aber sei’s drum …

Ich kaufte bei ihm noch eine Lederjacke mit Morgan-Emblem, aus der limitierten Jacken-Serie, mit fortlaufender Nummerierung zum 100-Jahr-Jubiläum von Morgan editiert.

Einige Tage später trafen sich mein Nachbar und ich in Süddeutschland zum gemeinsamen Nachtessen. Er ist zeitgleich am Restaurieren lassen eines Volvo Sport, Jahrgang 1964. Meine Fotos, die den Fortschritt meiner Morgan-Restauration dokumentierten, lagen auf dem Tisch. Die Wirtin, eine gute Bekannte, schnappte sich diese und lief zum übernächsten Tisch, an dem ein Paar sass und speiste. Der Herr warf flüchtig ein paar Blicke darauf, verliess die Dame, steuerte auf mich zu und bemerkte: „Wenn du mit der Restauration Deines Morgan fertig bist, buchst Du ein Zimmer bei der Wirtin und meldest dich bei mir!“ Ich war doch etwas erstaunt, als ich erfuhr, dass der Herr Leiter der ortsansässigen Winzergenossenschaft ist und ebenfalls einen Morgan 8+ fuhr. Das liess ich mir sicherlich nicht entgehen.

Anfang August 2009 erkundigte ich mich bei Herrn Tanner nach den Fortschritten der Restauration, zumal ich seit Pfingsten 2009 nichts mehr gehört hatte. Das Fahrzeug war eben aus der Lackiererei gekommen und einem früheren e-Mail konnte ich entnehmen, dass der Zusammenbau ab diesem Zeitpunkt noch ca. 4-6 Wochen benötigte. Zum bestmöglichen Zeitpunkt fuhr ich nach Lichtensteig, um die neue Lackierung in dunkelrot zu beäugen und das Ganze sah doch wirklich wieder wie ein richtiges Fahrzeug aus. Die Farbe war wunschgemäss herausgekommen, der Motor war wieder an seinem Ort. Es fehlten nur noch die Elektrik und die Vordersitze, sonst war alles wieder an seinem richtigen Platz. Wer hätte das gedacht, als wirklich alles auseinander gerissen vor mir lag. Herr Tanner fragte mich, ob er dieses Fahrzeug am British Car Meeting vom 30.8.2009 ausstellen dürfe? Was für eine Frage! Und so stehe ich heute in Mollis vor meinem Auto, einem Traum den ich seit über 30 Jahren hege. Ich bin auf die Abnahme bei der MFK St. Gallen und der Versicherung gespannt…

In Mollis angekommen, standen bereits die Präsidentin Morgan-IG Switzerland, und der Kassier und Lebenspartner vor dem Stand von Classic Car Connection. Diverse Standbesucher interessierten sich für die teil- oder vollrestaurierten Fahrzeuge. Im Gespräch mit dem Vorstand war Heinz Kanziora und er interessierte sich für meinen Morgan. Die Präsidentin meinte ihm gegenüber nur, dass er sich gleich an mich wenden sollte, den Herrn mit dem „Dauergrinsen“…!

Heinz, ich kannte zu diesem Zeitpunkt lediglich den Vornamen, mehr nicht, interessierte sich nur, um welches Fahrzeug es sich handelte und meinte, dass dieses Fahrzeug einmal eine dunkelbraune Farbe gehabt hätte. Erstaunt bejahte ich seine Frage, worauf er mich fragte, wer mir dieses Fahrzeug verkauft hätte. Ich verwies in höflich auf Markus Tanner, Classic Car Connection, worauf Heinz „lustig“ reagierte: „Was, diese Schweinebacke hat ihnen das Fahrzeug verkauft…!“ und ging von dannen.

Etwas perplex stand ich nun vor meinem Morgan und wandte mich an die Präsidentin und erzählte die eben vorgefallene Geschichte. Sie meinte mit einem verstohlenen Lächeln um die Mundwinkel, dass Heinz Kanziora eine „grosse Nummer“ in Deutschland sei, mit eigener Reparatur- und Tuning-Garage. Er hätte sich vor Monaten für mein Fahrzeug interessiert, aber er hätte den falschen Pass und die falsche Sprache, sodass es zu keinem Verkauf gekommen sei.

Dieses Gespräch musste ein weiterer anwesender Herr mitbekommen haben. Dieser Herr sprach mich an, ob ich meinen Morgan verkaufen würde? Ich meinte nur zu ihm, dass ich meinen über 30-jährigen Traum nicht verkaufen würde, um keinen Preis der Welt. Das erste Gebot war Fr. 100’000.—, und als ich bei Fr. 500’000.— noch immer abwinkte, wandte sich der besagte Herr kopfschüttelnd von mir ab mit der Bemerkung: „Was für ein Wahnsinnsknabe…!“

Bis dann der ganze Circus mit Abnahme durch die Motorfahrzeug-Kontrolle und den Versicherungs-TamTam über die Bühne ging, verging nochmals ein gutes ¼ Jahr. Gerade rechtzeitig zum Saison-Auftakt 2010. Ein Traum ging in Erfüllung.

Meine Dankbarkeit wollte ich natürlich der Präsidentin und „Paten-Tante“ meines Morgans zeigen und wurde aktives Mitglied in der Morgan-IG Switzerland. Wir waren immer nur sehr wenige an diesen Ausfahrten, die von der Präsidentin organisiert wurden. Grösser war der Jammer, über die geringe Teilnehmerzahl. So versuchte ich, mit dem damaligen Vorstand die Situation zu analysieren und auf Grund dieser Erkenntnisse das Programm zu modifizieren. So entstand aus meiner Feder das gesamte Jahresprogramm 2011, dass jedoch vor der Präsidentin keine „Gnade“ fand und ich aus der Morgan-IG ausgewiesen wurde. Mit diesem Programm, in dessen Aufbau ich einen immensen Zeitaufwand steckte, wollte ich nicht in der Schublade verschwinden lassen. So wurde „Morgan & Friends“ ins Leben gerufen und ein Internet-Auftritt eingerichtet. Der Morgan-Fahrer als treibende Kraft und die „Friends“, Nutzniesser für markenunabhängige Interessenten. Gelebte Freude an einem speziellen Fahrzeug, dass mittlerer Weile grenzüberschreitende Freudschaften ermöglichte. Morgan, the real Sports-Car.

Mittlerer Weile sind aus einem Morgan gleich Drei geworden. Der Traum einen +8er zu kaufen erfüllte sich 2011 und erst noch einen aus der ersten Serie, mit Rover-Motor/Moss-Getriebe. Im Frühjahr 2014 kam dann noch ein neuer 3-Wheeler hinzu. Wer hätte das gedacht?

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